Submitted Abstract
Die für Luxemburg typische Situation der Mehrsprachigkeit lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. So wie heute die drei Sprachen Französisch, Deutsch und Luxemburgisch in unterschiedlichen Kontexten als Amtssprachen fungieren, koexistierten in der Schriftlichkeit der Stadt Luxemburg im 14. und 15. Jhdt. das Lateinische, das Französische und im Bereich der Verwaltung das Deutsche. Das Luxemburgische, das sich mittlerweile aus dem Dialektgefüge des Moselfränkischen herausgelöst hat und als eigenständige germanische Nationalsprache gilt, ist im Hinblick auf seine Entstehungsgeschichte aus systemsprachlicher Perspektive weitgehend unerforscht. In keiner zentralen sprachhistorischen Darstellung findet das mittelalterliche Moselfränkische Beachtung, daher bestand das Hauptziel der Dissertation darin, durch die graphematisch-phonologische Erschließung der Luxemburger Stadtrechnungen einen ersten umfassenden empirischen Baustein für die Charakterisierung des moselfränkischen Schreibdialekts in der Stadt Luxemburg im 14. und 15. Jahrhundert zu liefern. Die Rechnungen sind in insgesamt 66 Jahrgängen von 1388 bis 1500 erhalten und befinden sich im Stadtarchiv Luxemburg. Besonders erwähnenswert ist dabei die beinahe lückenlose Überlieferung ab dem Jahr 1444, damit kann das Korpus ohne Weiteres als wichtigste zusammenhängende Quellengruppe einer seit Mitte des 14. Jahrhunderts in der Stadt Luxemburg einsetzenden deutschsprachigen Schriftlichkeit bezeichnet werden. Die zentralen Ergebnisse der Untersuchung sind auf drei Ebenen zu beschreiben. Aus regionalsprachlicher Sicht konnten die wichtigsten westmitteldeutschen / moselfränkischen Charakteristika in der schriftsprachlichen Mikrostruktur der Stadtrechnungen im gesamten Untersuchungszeitraum nachgewiesen werden. Die Frage nach der räumlichen Ausrichtung der Schreibsprache ließ sich mit einer verhältnismäßig großen Nähe zur Kölner Überlieferung beantworten. Während in den Trierer und Mainzer Urkunden bereits starke Überformungsprozesse durch das Oberdeutsche zu beobachten sind, fehlen solche in den Luxemburger Belegen weitestgehend, was mit der ausgeprägten Randlage Luxemburgs zu erklären ist und in der spezifischen Weiterentwicklung zum heutigen Luxemburgischen seine Bestätigung findet. Aus systemsprachlicher Perspektive konnten bedeutsame Beobachtungen zu Prinzipien der schreibsprachlichen Variation gewonnen werden. Eine Vielzahl von Konstanten bei der Realisierung der einzelnen Schreibungen durch die zehn untersuchten Schreiber bewirkt den Eindruck einer für diese Zeit ungewöhnlich einheitlichen Schreibsprache, sodass entgegen der Annahme der älteren Schreibsprachenforschung keineswegs von orthographischer Willkür oder defizitären Schreibkenntnissen die Rede sein kann. Die in sozialsprachlicher Hinsicht wichtige Verortung der meisten Luxemburger Schreiber in der städtischen politischen Führungsschicht untermauert die Annahme, dass es sich um gut ausgebildete Schreiber handelt, denen Schreibregeln und -prinzipien im eingeschränkten Rahmen eines gewissen „Normbewusstseins“ bekannt waren. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass regionalsprachliche, sozialsprachliche und systemsprachliche Dimensionen in der Weise zusammenlaufen, dass hier von einer in die westmitteldeutsche Schreibsprachlandschaft integrierten Schreibsprache gesprochen werden kann, die aufgrund regelhaft verwendeter Schreibprinzipien über einen Zeitraum von fast 120 Jahren eine erstaunliche Homogenität zeigt und Ansätze einer auf einzelne Personen rückführbare Schreibtradition widerspiegelt. Damit sind die ermittelten Daten und Ergebnisse innerhalb der Sprachgeschichtsforschung sowohl im Speziellen für die Regionalsprachgeschichte bzw. Historische Stadtsprachforschung als auch allgemeiner für die Orthographiegeschichte und graphematische Forschung verwertbar.